Achte auf Deine Gedanken!

Ein chinesisches Sprichwort sagt: Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf Deine Worte, denn sie werden zu Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden zu Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.

Wer jetzt den direkten Bezug zu Agilität sucht, dem mag das fast schon esoterisch vorkommen. Und doch ist er da. Denn es hat sehr viel mit den agilen Grundwerten zu tun, allen voran mit Respekt und Wertschätzung. Agile Methoden setzen bewusst auf (divers besetzte) Teamarbeit, auf offenen Umgang mit Fehlern; Scrum kennt drei Rollen, deren Verantwortungsbereiche gewollt in einer Grundspannung zueinander stehen; allumfassende Transparenz ist gewünscht. Das daraus entstehende Konfliktpotential birgt Chancen zu Reflektion, zu Verbesserung, zu Innovation und vielen weiteren positiven Dingen, WENN man konstruktiv damit umgeht.

Und jetzt mal ehrlich: Wer hat sich noch nicht dabei ertappt, wenn es hier und da zu Spannungen, zu Problemen kam, dass man sich gedanklich schnell in Beurteilungen wiederfindet. Und gar nicht so selten endet das in einer überschnellen Verurteilung. Ich sage, das ist absolut menschlich und liegt in unserer Natur. Gleichzeitig haben wir Menschen die Fähigkeit zu reflektieren und somit negative Gefühle und Gedanken umzuwandeln in positive Erkenntnisse und positives Verhalten. Ein Beispiel: Wenn ein Diskussionspartner übermäßig kritisch mit einem guten Vorschlag umgeht, dann ist man leicht geneigt, sein Gegenüber z.B. als Widerständler abzuurteilen. Bin ich mir bewusst, dass ich gerade menschlichen Schwächen erliege, dann bin ich auch in der Lage, das Positive darin zu erkennen: Dass sich mein Gegenüber mit dem Thema auseinandersetzt, darüber nachdenkt, sein Gehirn einschaltet und seine Erfahrungen beisteuert. Und plötzlich verfliegen die negativen Gefühle und Respekt und Wertschätzung treten an ihre Stelle und ermöglichen so eine konstruktive Lösungsfindung.

Hier kommt das obige Sprichwort ins Spiel. Alles beginnt mit der Wahrnehmung seiner eigenen Gedanken und Gefühle. Nicht selten sind wir so in die Sache vertieft, dass wir unsere Emotionen nicht bewusst wahrnehmen. Dann erliegen wir ihnen, haben unsere Gedanken nicht unter Kontrolle und damit auch nicht unsere Worte, unsere Handlungen, unsere Gewohnheiten ….

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht vor herausfordernden Situationen – z.B. eine Retrospektive, in der ich ein schwieriges Thema erwarte – mir einige Minuten Zeit zu nehmen und zunächst innerlich ‚leer‘ zu werden. Damit ich mir meines Befindens und meiner Emotionen zu dem Thema ganz bewusst werde. Erst das versetzt mich in die Lage, wirklich neutral zu bleiben, ganz bewusst die Stimmungen der Teilnehmer zu erspüren und damit respektvoll und wertschätzend mit jeglicher Meinung umzugehen.

Esther Derby nennt in ihrer bekannten Vorlage zu Retrospektiven den ersten Schritt ‚Setting the stage‘. Wer sich gefragt hat, wo der Mehrwert dieses Schrittes ist? Das ist er! Die Teilnehmer ganz bewusst aus ihren jetzigen Gedanken, Emotionen und Gefühlen rausbringen auf eine neutrale, gemeinsame Ebene. Ich verwende dazu gerne spannende Themen aus den aktuellen Nachrichten, die ich rezitiere. Oft entsteht daraus eine kleine Diskussion, der ich timeboxed fünf Minuten ihren Lauf lasse, bevor ich in die eigentliche Retrospektive überleite. Der Effekt dieses kleinen Zwischenspiels auf die Effektivität und Effizienz des Meetings ist deutlich zu spüren.

Wertschätzung und Respekt sind Dinge, die ganz zentral beim eigenen Ich beginnen. Wenn man sich in einer Diskussion über ein schwieriges Thema wiederfindet, dann ist es von entscheidender Bedeutung, auf welcher Ebene man sein Gegenüber sieht. Es ist nur menschlich, z.B. wenn man völlig konträrer Meinung ist, dass man schnell dazu neigt zu meinen, man wisse etwas besser als der andere. Wenn einem das passiert – und es passiert oft unbewusst – stellt man sein Gegenüber unweigerlich auf eine niedrigere Stufe als die eigene. Meine Erfahrung ist, dass dann keine konstruktive Diskussion mehr gelingt. Mir hat es stets geholfen, vorab mir bildlich vorzustellen, wo ich mein Gegenüber tatsächlich sehe und welche Emotionen ich in mir spüre. Und wenn ich feststelle, dass wir nicht auf derselben Ebene sind, korrigiere ich zuerst dieses Bild. Erst dann kann die gute Diskussion beginnen.